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  # 1 The sunshine files
 

The sunshine files

„Jeeesus, Brian!“

„Was? So ist das Geschäft! Ich bin ja in ein paar Tagen zu Hause!“

„Aber du solltest heute hier sein“, protestierte Justin.

„Etwas ist dazwischen gekommen“, sagte Brian.

Justin erinnerte sich, was dieser Satz von Brian zu bedeuten hatte. Es war seine Standartantwort, wenn er etwas umgehen wollte, das er nicht tun wollte. Und am Schlimmsten war, dass es meinte, dass Brians Schwanz dazwischen kam und er einen Augenblick später im Hintern eines Tricks sein würde.

„Darauf wette ich“, antwortete Justin mit einem sarkastischen Unterton.

„Schau, es ist umumgänglich. Ich hatte eigentlich vor, heute nach Hause zu kommen, aber Leo Brown möchte die Feinheiten der Kampagne ausarbeiten und läd mich zum Abendessen mit einem Kollegen ein, der vielleicht mit einer neuen Werbefirma auf den Markt kommt.“

„Sicher“, sagte Justin, resigniert feststellend, dass immer etwas Wichtigeres als seine Zeit mit Brian dazwischen kommen würde.

„Ich ruf dich morgen an und müsste dann übermorgen daheim sein.“

„Sicher“, wiederholte Justin.

„Bis später“, sagte Brian und hängte auf. Justin machte sich nicht die Mühe zu antworten und Brian machte sich nicht die Mühe, auf eine Antwort zu warten.

 

„Fuck! Fuck! Fuck!“, sagte Justin laut ins leere Loft hinein.

Brian war seit Montagmorgen weg und würde nun nicht vor dem Wochenende zu Hause sein. Er war geschäftlich in Chicago, doch das hätte eigentlich nicht so lange dauern sollen.

Justin ließ sich auf das Sofa fallen und schaltete den Fernseher an.

 

Er war jetzt seit einem Monat wieder aus Kalifornien da. Die erste Woche, nachdem er wieder hier war, hatte Brian ihn gefickt bis Justin nur noch o-beinig gegangen war. Er hat gedacht, sein Hintern würde sich nie wieder davon erholen. Und dann waren sie wieder in den üblichen Mangel an Kommunikation zurückgefallen, der ihre Beziehung von Anfang an geplagt hatte.

Brian war immer mehr und mehr damit beschäftigt gewesen, sein Reich in der Werbewelt aufzubauen. Er war höchst erfolgreich in allem gewesen, was er in Angriff genommen hatte. Aber je erfolgreicher er wurde, desto länger arbeitete er und desto weniger sah Justin ihn.

Geld war schon längst für keinen von ihnen ein Problem mehr. Justin hatte welches aus der Zeit mit Brett Keller gespart, aber er hatte noch immer nicht entschieden, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen wollte. Brian wollte, dass er zurück zum PIFA ging und dort sein Studium beendete, doch Justin konnte sich nicht vorstellen, wieder ein Collegestudent zu sein, nachdem er draußen in der Arbeitswelt gewesen war.

Er wollte arbeiten. Er wusste nur einfach nicht, wozu er eigentlich qualifiziert war. Er war ruhelos und unruhig und Brians lange Abwesenheit half da auch nicht wirklich.

Justin hatte durch alle Kanäle des Fernsehens gezappt, ohne etwas zu finden, das sich anzuschauen lohnte. Wie war das noch mit dem Song „56 Channels and nothing on“?

 

Er schaltete den Fernseher aus und stand auf, um durch das Loft zu wandern. Er nahm sich ein Cola aus dem Kühlschrank und brachte sie hinüber zum Computertisch. Er überlegte einen Moment, ob er online gehen sollte, doch da war nichts, was ihn im Moment wirklich interessierte. Er wanderte zum Bücherregal hinüber und besah sich die Buchrücken. Er wusste, dass er die meisten Bücher schon gelesen hatte, doch vielleicht war da ein Gutes, das er übersehen hatte. Er ging in die Hocke, um die Bücher auf dem untersten Regal durchzugehen, als ihm ein großes Buch mit einem grünen Einschlag auffiel. Es war definitiv kein Roman, aber er konnte sich nicht daran erinnern, es je zuvor bemerkt zu haben. Vorsichtig zog Justin das Buch zwischen den anderen heraus, die dagegen lehnten. Es war sehr schwer und vorsichtig brachte er es zum Sofa hinüber. Es sah ziemlich alt aus. Er setzte sich, legte das Buch vor sich auf den Couchtisch und las den Titel: „Art of Pennsylvania“. Justin las sich den Titel noch einmal genau durch. Das war es, was da stand. Er bewunderte ein ganzes Buch über Kunst dieses Staates, der nicht gerade ein heißes Pflaster für die Kunstwelt war. Sich wundernd, wo zur Hölle Brian ein solches Buch herhatte, öffnete Justin dieses zur ersten leeren Seite des Buches. Dort stand etwas geschrieben: „Als ich dieses Buch gefunden habe, wusste ich, dass du etwas über deine Vorfahren erfahren wollen würdest. Viel Spaß, Claire.“

„Claire?“, sagte Justin laut. Das war Brians Schwester, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass diese an einem Kunstbuch interessiert sein würde. Um genau zu sein, konnte er sich nicht einmal vorstellen, dass sie überhaupt ein Buch lesen würde. Mit diesem Gedanken begann er die Seiten durchzublättern. Seine Augen wurden groß, als er die wundervollen, farbenprächtigen Gemäldedrucke auf den Seiten entdeckte. Er schloss das Buch mit einem Knall, um sich noch einmal den Umschlag anzuschauen. Das einstmals helle Grün des Buches war durch die Zeit zu einem dunklem Waldgrün geworden. Das Innenblatt hatte ein vergilbtes Etikett von seinem Vorbesitzer und jede Seite hatte eine Schutzseite aus feinem Gewebe. Das Kunstbuch an sich war schon ein Kunstwerk. Das Ausgabedatum bemerkend, wusste Justin, dass dieses Buch schon längst nicht mehr gedruckt wurde, was es nur um so wertvoller und mysteriöser machte.

Wie kam solch ein Buch in Brians Besitz und warum würde seine Schwester ihm solch ein Buch geben? Brian zeigte äußerlich nie Interesse an Kunst außer an Justins neuesten Werken. Und wie Justin sich erinnerte, war Claire, selbst wenn die Dinge zwischen Brian und ihr einigermaßen in Ordnung waren, nicht der Typ, der ihm solch ein spezielles Buch geben würde. Justin brachte das Buch hinüber zum Computertisch. Während er darauf wartete, dass der PC hochfuhr, fuhr Justin mit der Erkundung von „Art of Pennsylvania“ fort. An das Alter des Buches denkend, behandelte Justin dieses nun sehr viel vorsichtiger und blätterte die Seiten mit Brians silbernen Brieföffner um. „Mist, ich habe wirklich zu viel History Channel gesehen.“, amüsierte sich Justin, sich daran erinnernd, dass Buchkonservatoren die Bücher nur mit Baumwollhandschuhen anfassten, damit das Fett ihrer Hände nicht die Seiten zerstörte.

„Mist, Brian hat wie immer recht. Ich sollte wirklich zurück ins College gehen.“

Justin wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem PC zu und ließ das Buch offen auf dem Tisch neben sich liegen. Die Seiten des Buches öffneten sich automatisch in der Mitte.

Das mittlere Gemälde zeigte einen eleganten, großgewachsenen Mann in einer Pose, die Justin an einen anderen großen, und beizeiten eleganten, Mann erinnerte. Er las die Überschrift laut durch: „ John Aidan Brian Kinney 1802 – 1879 Einer von Pennsylvaniens erfolgreichsten und berühmtesten Künstlern und Landbesitzern“

„Ach du große Scheiße!“, schrie Justin den Computer und jedes andere Möbelstück, das interessiert daran war, zuzuhören, an.

„Das ist unglaublich. Brian hat einen berühmten Vorfahren. Wow, warte, bis ich ihm das hier zeige.“ Justin sprang vom Computertisch auf und vollführte einen kleinen ‚warte bis ich ihm das hier zeige’ Tanz durch das Loft auf. In der Mitte einer Pirouette kam Justin wieder zur Besinnung. Brian vollen Zugang zu diesem bisschen an Information zu gewähren, war vielleicht nicht gerade schlau. Brian war sicherlich nicht Nett!Ben. Justin konnte mehr riskieren, als das Brian Justins Mysterietour kurzentschlossen beendete. Brian konnte sprichwörtlich das Buch in der Luft zerreissen, wenn er der Meinung war, dass dessen Inhalt ihn in seiner Ruhe, Zeit und seinem Raum in irgendeiner Form stören würde. Nein, da war doch eher etwas unparteiisches Planen gefragt.

Justin setzte sich wieder an den Schreibtisch, beruhigte sein rasendes Herz und nahm den Brieföffner wieder zur Hand. Vorsichtig studierte er Kinneys Portrait mit seinem künstlerischen Blick. Der Mann sah aus, als wäre er in den späten zwanziger Jahren, vielleicht auch dreißigern. Justin lächelte. Wie passend einen Kinney Vorfahren zu entdecken, der genauso alt war wie Brian, als sie sich das erste Mal getroffen hatten. Das Haar hatte die gleiche Farbe und die Finger waren lang und sinnlich. Die Körperhaltung war königlich, ein weiterer Kinney, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. Justin überflog die Seite in der Hoffnung mehr über Kinney zu erfahren oder den Künstler, der das Portrait gemalt hatte, doch es stand nur wenig da. Er blätterte um und entdeckte ein Gemälde von Kinneys Familie. Zwischen den Seiten lag eine getrocknete Rose, platt wie ein Papier und kaum ein Anschein von Farbe in ihr.

Das Portrait war typisch für die Zeit. Der Mann stand, rechts vor ihm auf einem Stuhl saß eine Frau und hielt ein Baby im Arm, ein älteres Kind stehend zu ihrer Rechten. Kinney stand stoisch da, seine Frau blickte fast weinerlich drein, ihre hübschen Gesichtszüge hinter einem undurchschaubaren Gesichtsaudruck verborgen. Sehr typisch, keine Gefühlsregung zeigend, bis auf die fünfte Person auf dem Bild. Jemand der dort nicht hinzugehören schien. Neben Kinney stehend, jedoch leicht entfernt von der Familie stand ein junger Mann. Er trug ein serenengleiches Lächeln auf dem Gesicht und schaute mit Bewunderung in seinen Augen zu Kinney auf. Ein bevorzugter Kunststudent vielleicht, eine Neffe, ein Geliebter?

„Konzentrier dich Justin, zieh keine eiligen Schlussfolgerungen.“ Justin blätterte die Seite um.

Nichts. Nichts weiteres über den Künstler Kinney. Er war dabei, zurück zu dem mittleren Gemälde zu kehren, als ein Stück Papier zwischen den Seiten herausschaute. Einige vegilbte Seiten glitten auf den Schreibtisch. Justin fühlte sich, als würde er den Rosetta Stein anfassen, als er zögerte, die Seiten zu öffnen.

 

Vorsichtig hob er die erste Seite auf und öffnete sie. Das Papier war alt, aber noch gut erhalten. Justin konnte die verkrampfte Handschrift nur schwer entziffern:

 

„Lieber Jack,

 

ich weiß, du dachtest du würdest das Richtige tun, als du deinen Sohn nahmst und gingst. Dein Vater und ich sind sehr beunruhigt darüber. Ich weiß, dass Brian ein vorlautes Mundwerk hat, aber du solltest ihn nicht schlagen. Das Leben war nicht einfach für dich, doch wir alle haben unser Los zu tragen. Bitte versuche zu vergeben und komme uns bald besuchen. Deinem Vater geht es nicht gut.

                                                                                                                                 Mutter“

 

Justin studierte das Blatt und runzelte die Stirn. Hier war ein Beweis dafür, wie Jack Kinney seinen Sohn behandelt hatte. Justin hatte immer eine Ahnung gehabt, wie es für Brian gewesen sein musste, doch der Mann hatte nie darüber gesprochen. Es musste furchtbar gewesen sein.

 

Behutsam öffnete Justin den nächsten Brief. Er musste nach dem Tod von Jacks Vater geschrieben worden sein:

 

„Lieber Jack,

 

ich war sehr enttäuscht, dass du nicht zum Begräbnis deines Vaters heimgekommen bist. Ich hätte gerne dich und deine Familie gesehen. Ich weiß nicht, wie lange ich noch hier sein werde. Ich hoffe dir und meinen Enkeln geht es gut. Bitte komm und besuche uns.

                                                                                                                                 Mutter“

 

Es war merkwürdig, dass Jack Kinney nicht einmal zum Begräbnis seines eigenen Vaters gegangen war. Der Bruch zwischen Vater und Sohn musste viel schlimmer gewesen sein, als Justin zuerst angenommen hatte. Es war noch einer dieser Briefe übrig. Er öffnete ihn vorsichtig:

 

„Lieber Jack,

ich bin in letzter Zeit ziemlich krank und der Arzt scheint nicht zu wissen, was ich habe. Ich habe eine schlimme Ahnung darüber, was mit mir passieren wird. Egal was auch immer zwischen uns passiert ist, möchte ich, dass du ein glückliches Leben hast und sende dir die Besitzurkunde der Farm. Vielleicht können du und Claire hier irgendwann in der Zukunft leben und das Glück finden, das ihr beide verdient. Ich werde dich nicht fragen, mich besuchen zu kommen, da ich weiß, dass du das nicht tun wirst.

                                                                                                                      Mutter“

 

Justin las den Brief zu Ende und starrte darauf. Das war wirklich merkwürdig. Brian wurde nicht erwähnt, nur Claire. Warum sollte seine Großmutter Brian völlig vergessen und wollen, dass Jack und Claire auf der Farm leben? Keiner der Briefe trug ein Datum, so dass es schwer, war ihr Alter zu bestimmen. War Brian schon erwachsen und erfolgreich gewesen, als dieser letzte Brief geschrieben worden war? War es das, warum er nicht erwähnt wurde? Und was war mit Joan? Auch sie wurde nirgends erwähnt. Vielleicht mochte Brians Großmutter sie genauso wenig wie Brian sie mochte. Justin musste zugeben, dass der kurze Moment, als er sie getroffen hatte, ihm sehr unangenehm gewesen war. Er wusste, dass Brian es hasste, mit ihr auch nur in irgendeiner Weise zu tun haben zu müssen.

Es war noch ein einziges Papier übrig. Justin öffnete es und bemerkte, dass dies wahrscheinlich das älteste der Papiere war. Es war die Besitzurkunde, von der Jacks Mutter geschrieben hatte, dass sie sie senden würde. Warum sollte sie es an Jack geschickt haben, bevor sie starb? Warum hatte Jack es in dem Buch gelassen und niemals daran gedacht seinen Besitz für sich zu beanspruchen? Es gab so viele unbeantwortete Fragen. Wenn Brian das Buch besaß und Jack tot war, hieß das, dass der Besitz nun Brian gehörte?

 

Justin faltete die Briefe wieder vorsichtig zusammen und legte sie auf den Schreibtisch. Er war gerade dabei, sie zurück in das Buch zu legen, als er sich anders entschied. Brian hatte Familie oder Besitz, von dem er nichts wusste. Justin entschied sich ein paar Untersuchungen anzustellen. Er nahm einen Ordner aus dem Schreibtisch und überlegte einen Moment bevor er ihn mit „Sunshine“ beschriftete. Er öffnete die Briefe und entfaltete die Besitzurkunde, bevor er sie glatt strich und in den Ordner legte. Er schloss den Ordner und stellte in wieder zurück in den Schreibtisch, wissend, dass Brian niemals seine Ordner öffnen würde.

 

Als das geschehen war, loggte Justin sich ins Internet ein. Er würde damit beginnen, dass er Informationen über John Aidan Brian Kinney suchte. Das könnte wirklich interessant werden.

Justins Suche über den schwer fassbaren John Aidan Brian Kinney stellte sich als schwieriger heraus, als er gedacht hatte. Nicht viel mehr, als einige wenige Anhaltspunkte zu seiner Kunst, seinen Hang zum Malen von Landschaftsgemälden von Pennsylvanias ländlicher Seite und seiner vom Unglück verfolgten Heirat war über ihn herauszubekommen. Alle, von Justin normalerweise benutzten Kunstseiten im Internet waren nutzlos. „Denk nach Justin. Wenn er so berühmt war, wieso kann du dann nichts über ihn finden?“ Einen imaginären Punkt auf seiner Nase kratzend, tippte Justin geistesabwesend den Namen Kinney in die Google- Suchmaschine ein. Was dabei heraus kam, überraschte ihn keineswegs. Brian Kinney dies und Brian Kinney jenes, der Schwule, bla, bla, bla, der Schwule, SCHWULE!

 

Justin konzentrierte seine Suche auf schwule und homosexuelle Künstler. BINGO! Kinney begann als ein typischer Maler seiner Zeit, eingeheiratet in eine wohlhabende und sozial hochgestellte Familie. Seine Werke wurden als Hobby betrachtet, dazu gedacht, ihren Platz im Haus einzunehmen, wenn Kinney verheiratet und ein Landbesitzer und Kopf einer der größten Familien Pennsylvaniens geworden war. Seine Frau war das einzige Kind eines reichen Landlords und da es Frauen nicht erlaubt war, Besitz zu beanspruchen, war es an ihr, gut zu heiraten. Ihrem Mann würde es dann erlaubt sein, den Besitz an seine männlichen Nachkommen weiter zu geben und es solange zu verwalten, bis der Sohn selber dazu in der Lage war, das Land zu besitzen. Wenn schwul sein dich zu einem Zweitmenschen in dieser Zeit machte, dann brauchte man sich nur vorzustellen, was für einen Skandal dies damals hervorgerufen hätte. Und speziell für einen bekannte Familie.

 

Ok, also, was hatte er gelernt?

Brian hatte einen Künstler zum Vorfahren, gut genug um in einem Kunstgeschichtsbuch erwähnt zu werden. Besagter Künstler könnte eine homosexuelle Beziehung gehabt haben, die seine Familie in Ungnade hatte fallen lassen und da könnte ein Besitz sein, der Brian gehören könnte. Viele „könnte“. Aber was hatte das mit Claire und diesem Buch zu tun? Und es beantwortete noch immer nicht, warum Brians Großmutter wollte, dass Jack und Claire dort lebten, aber Brian nicht. Das ergab einfach keinen Sinn.

 

Justin entschied sich seine Suche über Kinney erst einmal zur Seite zu legen. Es erklärte, warum Brian so talentiert war, wenn es um Werbung ging. Er wusste, dass Brian ein Auge für Farben und Perspektiven hatte, es war genau das, was ihn so erfolgreich machte und warum Justin immer wusste, dass er eine ehrliche Meinung von ihm bekam, wenn Justin ein kritisches Auge brauchte, das über seine neueste Kreation schaute. Brian hatte Kunst in seinen Genen. Und er hätte einen Künstler in seiner Hose, wenn er nur endlich nach Hause kommen würde.

 

Justin druckte aus, was er über den Künstler Kinney herausgefunden hatte und verstaute es in seinem Ordner „Sunshine Files“. Müde fuhr Justin den PC herunter, setzte den Kessel auf, um Tee zu machen und duschte kurz, während er darauf wartete, dass das Wasser kochte. Unter der Dusche konnte Justin nicht verhindern, an den Brief denken zu müssen, in dem stand, dass Brian geschlagen worden war. So schlimm es auch zwischen Vater und Sohn gewesen sein mochte, Craig hatte Justin nie geschlagen. Vor Justins outing hatte er einen liebevollen Vater gehabt und er hatte noch immer eine Mutter, die zu ihm stand und eine liebende, wenn auch nervige, kleine Schwester. Das totale Gegenteil von dem, was Brian hatte, als er aufwuchs und noch immer in der Gegenwart hatte. Nein, das war falsch. Brian hatte nun eine liebende Familie, wenn auch eine ungewöhnliche. Aber er wurde geliebt und Brian wusste dies, auch wenn er dies niemals zugeben würde.

 

Das Pfeifen des Kessels brachte Justin dazu, in die Küche zu laufen. Mit seinem Becher voll „Sleeptime“ Tee in der Hand, nahm Justin das Kunstbuch und brachte es hinüber zur Couch. Er begann wieder die Seiten umzublättern, doch diesmal um das Ende des Buches zu untersuchen. Kurz vor dem Anhang klebte ein Photo zwischen den Seiten. Mit der flachen Seite des Brieföffners war es Justin möglich, das Photo zu lösen, ohne die Seite des Buches kaputt zu machen.

Das Bild umdrehend, sah Justin, dass es ein Photo von einem jungen Paar war, dass glücklich lächelnd in die Kamera schaute und Händchen hielt. Das eingeprägte Datum an der Seite des Photos war der 4. Juli 1965. Die Unterschrift unten im Bild lautete: „Jack und Claire am Strand“.

Justin starrte auf das Bild und las dann noch einmal die Unterschrift. Es gab noch eine Claire. Aber wer war sie? War sie Jacks Schwester? War sie gestorben und Jack war so traurig darüber gewesen, dass er sein Kind nach ihr benannt hatte? Justin studierte das Bild. Jack und Claire sahen sich in keinster Weise ähnlich. Aber sie sahen auf dem Photo sehr glücklich aus. Hier war ein weiteres Rätsel für seine „Sunshine Files“. Er heftete das Photo vorsichtig in den Ordner und stieg dann die Stufen zum Bett hinauf.

 

Am nächsten Tag fuhr Justin nach Harrisburg und ging dort zum Rathaus. Er verbrachte den Tag damit, die Informationen über Kinneys Familie durchzugehen, was auch Geburts- und Sterbeurkunden beinhaltete. Er fand auch die Adresse des Besitztums, dass auf der Urkunde verzeichnet gewesen war. Alles was seine Suche brachte, war, dass immer neue Fragen auftauchten.

 

Zum einen, gab es da keine Claire Kinney zu finden, außer Brians Schwester. Und diese war sicherlich nicht die junge Frau auf dem Photo neben Jack Kinney. Das Eigentum war in der Liste unter dem Namen Jack Kinney aufgezeichnet. Es war von seiner Mutter an ihn 1985 übergegangen. Das war lange nachdem Claire und Brian geboren worden waren. Justin wunderte sich, warum sie diesen Moment gewählt hatte, um das Eigentum an Jack weiterzugeben.

 

Und dann war da noch die Frage, wer die Steuern für das Eigentum bezahlte. Justin war es nicht gelungen, das heraus zu finden. Er nahm an, dass Brians Großeltern diese bezahlt hatten, als sie noch am Leben waren, aber mit der Besitzurkunde, versteckt in dem Buch, sah es nicht so aus, als hätte Jack die Steuern je gezahlt. Brian hatte nie erwähnt, dass Jack noch ein anderes Haus besaß, bis auf das, in welchem Joan noch immer lebte. Nach dem, was Brian verraten hatte, wäre es auch nicht möglich gewesen, für Jack die Steuern für noch ein Haus zu bezahlen. Er hatte Brian oft genug um Geld angehauen und es schien, als hätte er jeden Penny, den er in seine Finger bekam, sofort versoffen.

 

Als Justin zurück nach Pittsburgh fuhr, war sein Kopf voller Fragen. War Claire jemand, den Jack gekannt hatte, bevor er Joan getroffen hatte? War er in sie verliebt gewesen? Sie sahen auf dem Photo so glücklich aus. Brian hatte nie gesagt, dass seine Eltern jemals glücklich gewesen wären. Das Wort „glücklich“ schien im Wortschatz der Kinney Familie nicht zu existieren. Aber auf diesem Photo war Jack glücklich und die Frau ebenfalls.

 

Und das erstgeborene Kind der Kinneys hieß Claire. Justin fragte sich, ob Joan wusste, wer die Frau auf dem Bild war. Irgendwie bezweifelte er das. Konnte es sein, dass Jack seine Tochter nach der Frau auf dem Bild genannt hatte?

 

Justin kam kurz nach neun Uhr abends zu Hause an. Das Lämpchen des Anrufbeantworters leuchtete und Justin hörte sich die Nachricht an. Sie war von Brian. Er würde morgen um halb zwei Nachmittags ankommen. Er wollte, dass Justin ihn am Flughafen abholte, doch wenn dies ein Problem sein sollte, dann würde er einfach ein Taxi nehmen.

 

Justin setzte sich an den Schreibtisch und zog alle Unterlagen heraus, die er in Harrisburg kopiert hatte. Er legte sie zu den Sunshine Files und stellte den Ordner wieder zurück in den Schreibtisch. Er hatte viel mit Brian zu besprechen. Er überlegte, wie er das Thema ansprechen sollte. Es war wahrscheinlicher, dass Brian ihm sagen würde, er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern, als dass er dankbar dafür war, was Justin heraus gefunden hatte.

 

Justin seufzte. Er würde mit Brian darüber sprechen müssen. Er war soweit wie nur irgend möglich allein in dieser Sache gekommen. Brian hatte Informationen, die Justin nicht hatte. Er hoffte, dass er Brian davon überzeugen konnte, zu kooperieren, so dass sie diesem Rätsel auf den Grund gehen konnten.

 

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„Ok, spuck’s aus.“

„Was?“

„Spuck’s aus. Du hast mich am Flughafen abgeholt ohne wenigstens ein ‚wie ist es gelaufen, Brian’, oder ein ‚ich bin hungrig, lass uns etwas zu Essen holen’ oder ein ‚ich bin scharf auf dich, ich hab dich vermisst, lass uns schnell zum Loft zurück fahren und ficken’. Nichts. Nada. Silence. Und versteh mich nicht falsch, Sunshine, aber du warst nie der ruhige Typ. Also spuck’s aus. Was beunruhigt dich, beschäftigt dich und macht dich so zerstreut?“

„Du wirst es nicht mögen.“

„Seit wann hat dich etwas, das ich mag oder nicht mag, je davon abgehalten, es zu sagen? Sag’s mir, oder ich werde keine ruhige Minute mehr haben, bis du es mir erzählt hast.“

„Es ist irgendwie kompliziert und ich muss dir dazu auch ein paar Sachen zeigen. Es könnte auch sein, dass wir dafür die Stadt verlassen müssen.“

„Justin. Ich bin gerade erst zurück gekommen.“

„Nicht wegfliegen, aber wir müssen vielleicht aufs Land fahren.“

„Nicht mit meiner ’vette, nichts da. Ok, hör auf mich böse anzustarren. Erzählst du mir dein Rätsel?“

„Ja.“

Während der Fahrt zum Loft, genauso wie die Fahrt im Fahrstuhl über, erzählte Justin Brian alles über das Buch, über John Aidan Brian Kinney, die Briefe, die Besitzurkunde und das Photo. Oben angekommen blieb Justin zurück und wartete auf den Ausbruch a la Kinney.

„Justin, willst du da den ganzen Tag im Aufzug stehen bleiben, oder kommst du rein?“

„Uhm.“

„Beweg deinen Arsch hier rein und zeig mir deinen Ordner und das Buch.“

Drei Stunden und zwei Thai Bestellungen später, schloss Brian das Buch und legte es auf den Tisch neben Justins „Sunshine“ Ordner.

„Fick, mich!“

„Ist mir eine Freude.“

„Mach ’nen Knoten rein, Kleiner. Das ist phantastisch und du hast das alle in nur zwei Tagen heraus gefunden.“

„Du nimmst das erstaunlich gut auf. Ich habe eigentlich mehr Gebrüll erwartet, zumindest ein- oder zweimal Knurren deinerseits.“

„Vielleicht färbt dein lästiges Erwachsensein langsam auf mich ab. Aber im Ernst. Ich bin gespannt darauf, heraus zu finden, wer diese Claire ist und ob wir mehr über diesen Maler Kinney herausfinden können. Aber ich interessiere mich wirklich für die Farm. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich dort als Kind mal war. Ich erinnere mich an dieses riesige Grundstück mit einem kleinen Fluss, der dort durchging. Ich erinnere mich an Apfelbäume und Sonnenblumen im Garten.“

„Das klingt so schön. Glaubst du, die Farm existiert?“

„Hab keine Ahnung. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Jack oder Joan sie jemals erwähnt haben und sicherlich war davon keine Erwähnung in Jacks Testament, nicht dass er wirklich eins gehabt hätte. Alles was er uns überlassen hat, waren seine Schulden, um die ich mich gekümmert habe. Ich wette, Joan hat keine Ahnung von der Farm oder dem Rest. Ich glaube nicht, dass sie dabei war, als Jack mich mitgenommen hat. Ich kann mich auch nicht an Claire erinnern. Er hat es einen Männerausflug genannt. Wir sind in sein Auto gestiegen und stundenlang gefahren. Wir haben es nur einige, wenige Male gemacht. Das letzte Mal erinnere ich mich, am Fluss gespielt zu haben. Ich war damals wirklich noch klein, nicht viel älter als Gus jetzt ist. Ich bin ausgerutscht und hineingefallen, doch jemand hat mich herausgeholt. Ein anderer Junge. Ich glaube, er war älter als ich, aber ich war immer schon groß für mein Alter, also weiß ich das nicht so genau. Er fragte mich, ob ich ok sei und brachte mich dann zurück zum Haus. Dann rannte er zurück in die Wälder. Meine Kleidung war völlig durchnässt und dreckig, was Jack ziemlich wütend machte. Er schrie mich an und als ich versuchte, es ihm zu erklären...“

„Schlug er dich.“

„Ja.“

„Brian, es tut mir so leid.“

„Mitleid ist Schwachsinn. Ich meine es dieses mal auch so. Da ist nichts, was dir leid tun müsste. Es war Jack. Irgendetwas hat ihn in einen zornigen Menschen verwandelt. Ich habe den Jack von dem Photo nie gekannt. Ich habe immer gedacht, es wäre etwas, was ich getan hätte oder nicht getan hätte. Vielleicht finde ich heraus was es war, wenn wir dem hier nachgehen. Finde heraus, wer Jack wirklich war.“

„Brian, was ist, wenn wir etwas Schreckliches heraus finden?“

„Das nehme ich in Kauf. Kann nicht viel schlimmer sein, als das, womit ich aufgewachsen bin. Außerdem hab ich dich schon erlebt, wenn du ganz männlich und beschützerisch bist. Niemand würde sich mit uns anlegen, wenn du bei mir bist.“

„Brian, das müsste das Süßeste sein, was du jemals über mich gesagt hast.“

„Ich mache nichts Süßes.“

„Wie wär’s dann, wenn du mich ‚machst’? Beweg deinen netten Hintern ins Bett und sei einen braver Bottom. Dieser Mann will seine Hure.“

Brian starrte in Justins dunkle, blaue Augen. Es passierte nicht oft, dass Justins wahre Natur hervorkam und noch seltener, dass Brian dies willkommen hieß.

Heute Nacht hatten die Götter Gnade mit ihnen beiden.

Einen leichten Kuss auf Justins Lippen plazierend, flüsterte Brian: „Kannst du die Sachen hier aufräumen und dann das Loft zusperren? Ich will eine kurze Dusche nehmen.“ Justin antwortete mit einem Nicken und seinem ganz eigenen Lächeln. Beide Männer erhoben sich von den Kissen. Justin ging in Richtung der Lofttür, als Brian sich auf den Weg zur Dusche machte. 15 Minuten später trafen sie sich im Schlafzimmer.

Brian, noch immer feucht vom Duschen und nur mit einem dunklen, weinroten Handtuch bekleidet, lag verführerisch auf den Laken. Justin zog langsam seine Kleidung aus und ließ sie in einem Knäuel auf dem Fußboden am Ende des Bettes liegen. Mit einer Haut, noch mit einem leicht goldenen Teint von der Sonne Kaliforniens, erinnerte Justin Brian an einen jungen Löwen auf seinem ersten Beutezug. Er wartete darauf, dass Justin sich auf ihn stürzte.

Anstelle eines ausgehungerten Löwen, der an seinen Lippen kaute, erhielt Brian Küsse, die leichter als Schmetterlingsflügel waren. Er fühlte, wie Justin liebevoll an seinem Kinn und an seinem Hals entlang knabberte und an seinem Schlüsselbein leckte. Justin arbeitete sich langsam an Brian herunter und saugte abwechselnd an jeder Brustwarze, was Brian dazu veranlasste, seinen Rücken durchzubiegen, um Justins warmen Mund besseren Zugang zu gewähren.

Justin führte seinen Erkundungsgang fort, rimmte Brians Bauchnabel und folgte dann der feinen, dunklen Haarspur, die zu Brians stolzen, hart aufgerichteten Penis führte. „Fuck!“, schrie Brian auf, als Justin in einer einzigen Bewegung   die gesamte Länge seines Penis in den Mund saugte. Justin huldigte Brians berühmtem Organ und hielt ihn immer kurz vor dem Orgasmus.

„Bitte.“ Brians sanftes Betteln entkam seinen Lippen, als er seine Schenkel noch weiter spreizte, um Justin besseren Zugang zu seinem Hintern zu gewähren. Justin entließ Brians Penis und saugte an Brians Hoden. Dann konzentrierte er sich auf Brians zuckendes Loch.

An dem engen Eingang leckend, sorgte Justin dafür, dass Brian entspannt und gut vorbereitet war. So begierig Justin auch war, Brian in die Matratze zu ficken, musste er doch Zurückhaltung zeigen. Justin schob einen, mit Spucke benetzten, Finger in Brians unglaublich enges Loch und bewegte ihn immer wieder hinein und hinaus. Bevor er einen zweiten Finger hinzufügte, griff Justin nach den Kondomen und der Tube mit Gleitmittel. Seine Finger und Brians Anus gleitfähig machend, öffnete Justin Brians Eingang, indem er behutsam seine beiden Finger schneideförmig bewegte.

Brian entspannte sich um Justins Finger herum und begann dann sich selbst gegen Justins Hand zu bewegen. Justin fügte einen dritten Finger hinzu. Als Brian genügend gedehnt und empfänglich genug war, zog Justin sich ein Kondom über, nahm noch mehr Gleitmittel und schob sich in ihn. Beide Männer stöhnten laut auf, als Brian sich an die Fülle anpasste. Justin zog sich vorsichtig zurück und glitt dann wieder hinein.

Der Schweiß brach beiden Männern aus, als sie sich dem Höhepunkt näherten.

„Oh Gott, Justin, so nah!“

Justin fühlte, wie Brian sich um ihn herum zusammenzog, dann explodierte und seinen Samen Justins Brust traf. Justin kam, ausgelöst durch Brians Orgasmus, ebenfalls und füllte das Kondom. Er brach auf Brians Brust zusammen und verschmierte das Sperma auf ihrer beider Haut. Nachdem sie beide ihren rasenden Herzschlag wieder beruhigt hatten, rollte Justin sich von Brian herunter, entsorgte das Kondom und holte einen warmen, feuchten Waschlappen, um seinen erschöpften Partner zu säubern. Nachdem er den Waschlappen wieder zurück gebracht hatte, kuschelte Justin sich an Brian und deckte sie mit dem warmen Laken zu. Brian, in einer seltenen Anwallung von Emotionen, küsste Justin lange und vergrub dann seinen Kopf in dessen Halsbeuge. Bald schon hörte Justin das leise Pfeifen von Brians Schnarchen. Vor sich hinlächelnd und in beschützerischer Art Brian umarmend, schlief Justin ebenfalls ein.

Brian verbrachte die Woche damit, Aufträge abzuarbeiten, die seine Aufmerksamkeit an der Arbeit erforderten. Er hatte Justin versprochen, dass sie am Wochenende versuchen könnten, die Farm zu finden und er würde dieses Versprechen auch einhalten, egal was für einen beschissenen Teil der Kinneygeschichte sie auch immer herausfinden würden. Samstagmorgen machten sie sich früh und zeitig in dem schwarzen Jeep auf den Weg, den Brian darauf bestanden hatte, zu mieten. Er hatte unmissverständlich klar gemacht, dass die Corvette nicht über steinige Wege und Strassen fahren würde, wo Steine den Unterboden beschädigen könnten. Justin hatte geseufzt und sich einverstanden erklärt. Manchmal war Brian so analfixiert, wobei das auch eine gute Sache sein konnte.

„An was zum Henker denkst du?“, fragte Brian, als sie auf der Autobahn waren.

„An die Nacht, als du aus Chicago wieder gekommen bist.“, sagte Justin mit einem Grinsen.

„Genieß deinen Moment ‚on top’, Kleiner“, sagte Brian bissig. „Von nun an bist du wieder unten.“

„Das macht mir nichts aus. Unten zu sein, hat seine ganz eigenen Reize.“ Justin lächelte.

„Ja, hat es.“ Brian stimmte mit seinem eigenen Lächeln zu.

Sie sahen sich an und staunten darüber, wie weit sie in ihrer Beziehung gekommen waren. Brian schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Strasse.

„Bist du sicher, dass du weißt, wo zum Teufel wir eigentlich hin müssen?“, fragte Brian nach einer Weile.

„Ich hatte gehofft, du würdest dich an die Ausfahrt erinnern.“, sagte Justin mit ernsten Gesichtsausdruck.

„Die Ausfahrt wiedererkennen!“, bellte Brian. „Das ist ’ne scheiß Autobahn! Jede Ausfahrt sieht genauso aus, wie die davor.“

„Reg dich nicht so auf“, sagte Justin ruhig. Brian bedachte ihn mit einem bösen Blick.

„Wir brauchen die Ausfahrt 91. Aber ich hoffe, dass du dich erinnerst, wo wir sind, denn ich habe keine exakte Adresse der Farm, nur einige Grundstücksnummern.“

„Fuck! Das wird ein Lauf ins Leere.“, sagte Brian, seinen Kopf schüttelnd. „Ich hätte es besser wissen müssen, als dir zu zuhören.“

„Ich habe immer Recht.“, sagte Justin selbstsicher. „Du wirst schon sehen.“

„Und wenn wir uns in der Wildnis verirrt haben, werde ich dich ficken, bis du nicht mehr laufen kannst.“

„Das ist doch mal ein Plan um in der Wildnis verloren zu gehen.“

„Ich kenn’ meine Prioritäten.“, stellte Brian fest.

„Und dann kannst du mich tragen, wenn ich nicht mehr laufen kann.“ Justin kicherte.

„Klar.“

„Oh, die nächste Ausfahrt ist die 91.“, sagte Justin.

Brian nahm die Ausfahrt und Justin sagte ihm, dass er links über die Brücke fahren sollte.

Brian hoffte nur, dass Justin wusste, was zum Teufel er da tat.

„Erkennst du irgend etwas wieder?“, fragte Justin nach einer Weile.

„Ich war damals bescheuerte fünf Jahre alt. Und ich bin nicht mal sicher, dass da ’ne Autobahn war, die wir genommen haben.“

„Das ist ’ne große Hilfe.“, sagte Justin und studierte die Strassenkarte. „Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Da vorne kommt eine kleine Stadt. Wir können dort anhalten und fragen, ob jemand die Kinneyfarm kennt.“

„Statt stundenlang ziellos durch die Gegend zu fahren?“, fragte Brian sarkastisch.

„Brian“, sagte Justin gedankenvoll aussehend. „warum hast du nie die Briefe und das Photo in dem Buch gefunden?“

„Ich hab mir das Scheißding nie angesehen.“

„Warum nicht?“

„Nach Jack’s Beerdigung   hat Mom es mir gegeben. Sie sagte, Jack hätte dann und wann hineingeschaut. Es hat sie immer angepisst, dass er nie darüber gesprochen hat. Sie selber hat nie hineingeschaut, nur für Jack’s Seele gebetet, alter Schurke der er war. Sie wollte jede Erinnerung an Jack aus dem Haus haben, also sagte sie mir, ich solle das Buch nehmen.“

„Aber du hast es nie geöffnet.“

„Ich mochte Erinnerungen an Jack genauso wenig, wie sie es tat.“, stellte Brian fest. „Ich hab es mit nach Hause genommen und auf das Brett gestellt. Ich hatte vor, es wegzuwerfen. Weiß auch nicht, warum ich es nie getan habe.“

„Du warst dazu bestimmt, diese Reise zu machen. Ich weiß es einfach. Sonst wäre das Buch schon längst weggewesen.“

Brian starrte Justin für eine Sekunde an, bevor seine Augen sich wieder auf die Straße konzentrieren mussten. Er wußte, er hätte diese Reise ohne Justin niemals gemacht. Es gab so viele Reisen, auf die Justin ihn gebracht hatte.

„Lass uns hier fragen“, sagte Brian und parkte vor dem Krämerladen der kleinen Stadt Bridgeton. Er hoffte, dass sie das Richtige taten.

Brian brachte den Wagen auf einem staubigen Parkplatz vor dem „Krämerladen“ zum Stehen.

Ja, das war der Name, der über der Tür stand. Er und Justin hüpften aus dem Jeep und strecken die, nach der langen Fahrt, müden Muskeln. Einmal tief durchatmend betraten sie zusammen den Laden.

Das Ladeninnere glich dem Äußeren, es sah aus als wäre es geradewegs einem Norman Rockwell Gemälde entsprungen. Der Boden bestand aus dicken Kieferdielen, dunkel und durch die Zeit und die Füße in Jahrezehnten von Käufern abgenutzt. Die hölzernen Behälter waren ordentlich mit Produkten und täglichen Bedarfsgütern bestückt. Auf dem Tresen standen große Gläser mit Süßigkeiten. Zum Vergnügen von jungen und alten Kindern gab es Süßigkeiten und altmodische Kaugummis. In einem Glas waren Holzstiele und an deren Ende, ungefähr zehn Zentimeter lang, waren gläsern aussehende Stücke in leuchtenden Farben, rot, blau, lila und grün.

„Entschuldigung, was ist das? Ist das etwas Süßes?“ Justins Augen leuchteten, als er die Süßigkeiten bestaunte.

„Es ist Kandis...“

„Kandiszucker,“, antwortete Brian noch vor dem Verkäufer. „Ich erinnere mich, wir haben hier gehalten. Es war heiß und Jack wollte Bier. Ich habe den Kandiszucker gesehen. Ich hatte Angst, Jack zu fragen, aber ich denke, ich muss es angestarrt haben und die Frau hinter dem Tresen fragte mich nach meiner Lieblingsfarbe. Ich sagte blau und sie gab mir einen aus blauem, klarem Kandis. Ich war überrascht, dass Jack mir erlaubte, die Süßigkeit zu behalten. Es hat mich Stunden gekostet, es zu essen, weil es so süß war. Das war das letzte Mal, dass wir hier waren. Später fiel ich in den Strom und wir kamen nie wieder hierher zurück.“

„Meine Mutter,“ warf der Verkäufer, ungefähr zehn Jahre älter als Brian, ein. „Die Frau war wahrscheinlich meine Mutter. Sie gab immer freie Kostproben. Sie sind nicht von hier?“

„Nein,“, antwortete Justin für Brian, der tief in Gedanken versunken schien. „Mein Freund hat hier vielleicht Familie. Er besuchte als Kind eine Farm hier in der Nähe. Wissen Sie, ob eine Familie namens Kinney hier in der Gegend lebt?“

„Kinney, Kinney, nee tut mir leid, da klingelt bei mir gar nichts und ich kenne alle Familien innerhalb von 50 Kilometern in der Umgebung.“

„Oh, danke, ich denke sie sind einfach weggezogen. Brian, wir sind völlig umsonst hergefahren.“

„Warten Sie, meine Mutter ist hinten und macht Inventur. Vielleicht erinnert sie sich. Bin gleich wieder zurück.“ Der Verkäufer drehte sich um und verschwand nach hinten. Justin beobachtete Brian, wie er zur Vordertür ging. Er konnte erkennen, wie Brians Brust sich schwer hob und senkte, als er um Fassung rang.

„Brian, geht es dir gut?“, fragte Justin sanft, wohl wissend, dass dies kein Zeitpunkt war, um Brian einzuengen, sondern ihm die Zeit zu geben, seine Erinnerungen zu verarbeiten.

„Ich bin ok, Sunshine. Es ist nur, ich habe so wenige Erinnerungen an etwas Gutes in meinem Leben. Die wenigen Male, die wir hierherkamen waren gut.“

„Willst du nach Hause gehen?“

„Nein, wir sind so weit gekommen, wir stehen das durch. Zumindest hatten wir eine schöne Fahrt aus der Stadt raus. Lass uns sehen, ob sie den Namen wiedererkennt.“

In diesem Moment kam die Ladenbesitzerin durch die Schwingtüren aus dem hinteren Bereich nach vorne.

„Hey, ich bin Charlotte. Mein Sohn sagte, Sie hätten den Laden als kleiner Junge besucht und dass Sie vielleicht Familie hier haben könnten.“

„Ja, Gnädigste. Meine Großeltern hatten eventuell hier in der Umgebung eine Farm. Mein Vater und ich kamen einige Male hier in den Laden. Aber es ist schon lange her, ich muss so vier oder fünf gewesen sein.“

„Also, junger Mann ich habe ein ziemlich gutes Namensgedächnis und ich erinnere mich an eine Familie namens Kinney. Um genau zu sein, waren sie ein wenig eine Berühmtheit.“

„Wirklich?“ Justin horchte auf und lehnte sich an den Tresen.

„Ja, nun, aber nicht im guten Sinne, aber auch nicht in einem schlechten. Ich weiß, das klingt verwirrend. Kommt mit mir nach hinten und ich erkläre es euch. Habt ihr Jungs jemals Birch Bier probiert? Es ist ähnlich wie Root Bier. Hier habt ihr. Also lasst uns hier hinsetzen und ich erzählte euch eine interessante Geschichte.“

 

Ungefähr eine Stunde später, stiegen Justin und Brian zurück in den Jeep und setzten ihre Reise fort. Eine halbe Meile von dort wo, wie Charlotte sagte, die Farm liege, fuhr Brian an die Seite und stellte den Motor aus.

„Brian, wir sind fast da, warum hälst du an?“

„Justin, ich brauch eine Minute. Erzähl mir das alles noch einmal. Von Anfang an.“

„Ok, also erstens, was wir über deinen Vorfahren, den Künstler Kinney gelesen haben, scheint wahr zu sein. Er war für eine Weile berühmt, bis er eine Affaire mit einem Mann hatte. Es gab einen Skandal und er verließ mit seinem Freund die Gegend. Seine Frau blieb hier und verwaltete das Eigentum, bis ihr Sohn alt genug war und es übernahm. Es stellte sich heraus, dass dein Großvater Kinneys Enkel war. Dein Großvater bebaute das Land und war ziemlich erfolgreich. Er heiratete deine Großmutter und bekam Kinder, von denen eines Jack war. Nach allem was wir wissen, war Jack ein normaler Junge, der sich in eine Frau namens Claire Anderson verliebte. Sie und Charlotte wuchsen zusammen auf, entfremdeten sich aber als Claire und Jack sich verliebten. Zu der Zeit ging es der Farm schlechter und dein Großvater musste kleine Stücke davon verkaufen. Jack verließ sein Zuhause, um in der Stadt Arbeit zu suchen und ich denke da war es dann, als er Joan traf. Charlotte meinte, dass Jack wohl vorhatte, zurück zu Claire zu kommen, es aber nie tat.“

„Ja, Jack schwängerte Joan und der Rest, wie man so schön sagt, ist Geschichte. Aber das erklärt nicht, wie diese Claire Anderson zu der Farm gekommen ist.“

„Brian, denk an den einen Brief, den deine Mutter geschrieben hat, als sie dachte, sie würde sterben. Sie hat immer geglaubt, dass Jack zurück kommen würde, die Farm übernimmt und zusammen mit Claire leben würde. Vielleicht hat Claire die Farm übernommen während sie auf Jack wartete.“

„Da wird sie aber lange warten müssen.“

„Brian, sei nicht so gehässig. Charlotte sagt, dass Claire hart arbeitet, um die Farm zu erhalten, oder was davon übrig ist. Bist du bereit, sie jetzt zu treffen?“

„So bereit, wie ich nur sein kann.“ Brian startete den Jeep und fuhr die Straße entlang, die zur Anderson Farm führte.

TBC

 
 
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